Die SPD nahm auch in Wiesbaden bereits 1933 Abstand von sämtlichen
offensiven und mit einem enormen Verhaftungsrisiko behafteten
antinazistischen Propagandaformen. Ihre Anhängerschaft schloss sich zu
kleineren, nach außen hin sorgsam abgeschotteten Widerstandsgruppen
zusammen bzw. bildete recht lockere Freundes-, Diskussions- und
Leserkreise. Dort stand die Bewahrung des Gruppenzusammenhalts, eine
mehr oder minder systematische politische Schulungsarbeit und dadurch
die Stabilisierung der demokratischen Gesinnung der Beteiligten für die
Zeit nach Hitler im Vordergrund des Agierens. Diesem Zweck diente
hauptsächlich die „Sozialistische Aktion“, das über konspirative Kanäle
vom Prager Exilvorstand bezogene neue Parteiorgan für die
antinazistische Inlandsarbeit. Eine der sozialdemokratischen
Kleinstgruppen bestand bis in die ersten Kriegsjahre hinein in Dotzheim
um Albert Müller und Luise Schwarz. Eine weitere hatte Konrad Arndt um
sich geschart, bis er im Herbst 1935 – übrigens zusammen mit Paul Krüger
und einigen anderen Wiesbadener Antifaschisten – ins KZ Esterwegen
verbracht worden war. 1934/35 führte der damals meist arbeitslose
Angestelltengewerkschafter Georg Feller zusammen mit seinem zuvor aus
politischen Gründen aus städtischen Diensten entlassenen Kameraden
Albert Markloff eine Restgruppe des lokalen Reichsbanners
Schwarz-Rot-Gold an, welche einen Leserkreis von an die 50
Gesinnungsfreunden mit der aus Frankfurt über Hochheim und Mainz-Kastel
bezogenen, auf Dünndruckpapier und im Kleinformat hergestellten
Parteizeitung versorgte. Dieser Sachverhalt konnte von den beiden vor
den NS-Strafverfolgern ebenso verheimlicht werden wie die Tatsache, dass
sie zugleich für den Exilvorstand ihrer Partei allmonatlich fundierte
Berichte über die Situation in den Wiesbadener Betrieben, zur
Stimmungslage in der Bevölkerung und auch zur fortschreitenden
Aufrüstung hatten erstellen lassen bzw. solche selbst verfasst hatten.
Auch der vormalige Propagandaleiter der Wiesbadener SPD Georg Buch, dem
im Frühjahr 1933 die Aufgabe übertragen worden war, die
Organisationsstrukturen seiner Partei auf die Erfordernisse der
Illegalität umzustellen, wurde mit einem bestimmten Kontingent der
„Sozialistischen Aktion“ und anderen Anti-Nazi-Schriften aus Frankfurt
beliefert, jedenfalls bis zur Mitte 1934 erfolgten Verhaftung des von
dort aus operierenden damaligen konspirativen Leiters des
SPD-Widerstandes in Südwestdeutschland Willy Knothe. Buch schottete
daraufhin seine überwiegend aus einstigen, in der Mehrzahl weiblichen
Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend rekrutierte
Widerstandsgruppe nach außen hin strikt ab, während er zugleich ohne
deren Wissen weiterhin viele brisante politische Kontakte zu früheren
Funktionsträgern der SPD in Wiesbaden und Umgebung realisierte, so zu
seinem langjährigen Freund und Förderer Johannes Maaß. Buchs große
Umsicht hierbei verhinderte es jedoch nicht, dass seine zuletzt gerade
noch ein knappes Dutzend Antifaschistinnen und Antifaschisten zählende
Gruppe Anfang 1941 einer Denunziation zum Opfer fiel.
Etwa zu dieser Zeit wurde auch in unserer Stadt ein
Widerstandsstützpunkt im Rahmen von Wilhelm Leuschners reichsweitem
primär sozialdemokratisch-gewerkschaftlich geprägten Vertrauensleutenetz
gebildet. Jene zivile Widerstandsstruktur hatte dieser ebenso
tatkräftige wie besonnene SPD-Politiker und Gewerkschaftsführer zusammen
mit vielen seiner engsten Vertrauten und außerdem mit etlichen
NS-Gegnern anderer politischen Couleur in jahrelanger konspirativer
Kleinarbeit zur Flankierung eines von den oppositionellen Militärs
herbeizuführenden Umsturzunternehmens geschaffen. Der hiesige
Stützpunktleiter war Heinrich Maschmeyer, welcher bis 1933 unter
Leuschner, seinerzeit Innenminister des Volksstaates Hessen, in Worms
als Polizeidirektor gewirkt hatte. Es ist davon auszugehen, dass zu
Maschmeyers Konfidenten beispielsweise der Lehrer und
SPD-Kulturpolitiker Johannes Maaß gehört hat, desgleichen sein
Berufskollege und Parteigenosse Martin Nischalke, der während der
gesamten NS-Zeit illegal tätig gewesen ist, und zudem Max Meinhold,
welcher für die geheime Geldsammelstelle der Wiesbadener SPD zuständig
war. Solche Zivilpersonen mit entsprechenden Leitungsqualifikationen
hätten nach einer geglückten Militäraktion allerorten in die umgehend
von den bisherigen NS-Funktionsträgern frei gemachten
entscheidungsrelevanten Positionen in den Kommunal- und
Landesverwaltungen sowie in der NS-Zwangsorganisation „Deutsche
Arbeitsfront“ rücken sollen, um die Militäroperation von dort aus zu
unterstützen und abzusichern, damit möglichst zügig zu demokratischen
Verhältnissen zurückgekehrt werden könnte. Nach dem gescheiterten
Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 wurde die breite zivile Basis jener
„Friedensbewegung“, so die zeitgenössische Charakterisierung durch die
Exil-SPD, von der im Reichssicherheitshauptamt eingerichteten
Sonderkommission hier wie überhaupt bloß rudimentär enttarnt. Daher sind
nur einige der wichtigsten zivilen und militärischen Anführer und
Unterstützer der Aktion gefasst, vor den „Volksgerichtshof“ gestellt,
dort meistenteils zum Tode verurteilt und sodann hingerichtet worden.
Hierzu gehörte auch Ludwig Schwamb, der frühere hessische Staatsrat und
enge Vertraute Leuschners, der dessen ziviles Widerstandsnetzwerk in der
ganzen Region zwischen Kassel und Heidelberg erst von Berlin und zuletzt
von Frankfurt aus konspirativ angeleitet hatte und der in der
unmittelbaren Umsturzsituation die Aufgaben des Politischen Beauftragten
der Verschwörer im Wehrkreis XII Wiesbaden hätte übernehmen sollen. Wäre
der Coup d’État geglückt, hätte Schwamb hier konsequenterweise an die
Spitze der neuen nichtnazistischen Regierung in Hessen-Nassau rücken
sollen.
Über Nischalke, möglicherweise auch über den Angestelltengewerkschafter August Heinzmann, ebenfalls SPD, stand der Wiesbadener Vertrauensleutestützpunkt Leuschners insgeheim in Kontakt mit einem lockeren antinazistischen Freundeskreis um den Nervenarzt Dr. Friedrich Mörchen und den damals im Steueramt beschäftigten Heinrich Roos. Beide waren wie die meisten Teilnehmer an ihren weitgehend regelmäßigen Treffen linksliberal positioniert gewesen, einige andere hatten dem Zentrum oder der SPD angehört. Manche von ihnen verkehrten daneben auf rein freundschaftlicher Basis sogar mit dem einen oder anderen Kommunisten, so z. B. mit dem früheren Stadtrat Jakob Greis. Mehrere Mitglieder dieser über 30 Regimegegner zählenden Gruppierung, die nur intern antinazistische Aufklärungsarbeit leistete, widmeten sich der Unterstützung rassistisch oder politisch Verfolgter, während einige wenige Oppositionelle dort über verdeckte Verbindungen zu einzelnen regionalen bzw. reichsweiten Anführern der zivilen Basis der Umsturzbewegung des „20. Juli“ verfügten. So hatte der frühere katholische Arbeitersekretär und ehrenamtliche Wiesbadener Stadtrat Ferdinand Grün über eine kleinere, im Rhein-Main-Gebiet verankerte Gruppe christlicher Gewerkschafter indirekt Fühlung mit dem sozialdemokratischen Gewerkschafter Willi Richter, der von Frankfurt aus für Wilhelm Leuschner den gewerkschaftlichen Widerstand im Bereich des späteren Bundeslandes Hessen organisierte. Der vormalige hiesige liberale Angestelltengewerkschafter Erich Zimmermann verfügte über konspirative Kontakte zu seinem Gewerkschaftskollegen Ernst Lemmer, zum christlichen Gewerkschaftsführer Jakob Kaiser sowie zum einstigen SPD-Reichstagsabgeordneten Dr. Julius Leber in Berlin. Der Kaufmann Ludwig Schwenck ist 1944 von Hauptmann Hermann Kaiser, im Zivilberuf Studienrat an der Oranienschule, nun aber in der Reichshauptstadt Kriegstagebuchführer im Stab des Chefs der Heeresrüstung und Befehlshabers des Ersatzheeres sowie einer der wichtigsten Brückenbauer zwischen den zivilen und den militärischen Widerstandskräften überhaupt, beizeiten vom bevorstehenden Vorgehen der Frondeure gegen Hitler in Kenntnis gesetzt worden. Trotzdem war jene lokale Widerstandsgruppe nicht in die unmittelbaren Umsturzvorbereitungen involviert, obgleich bei einem Erfolg des Unternehmens sicher etliche davon für die dann auch hier möglichst umgehend in Angriff zu nehmende demokratische Reorganisationsarbeit herangezogen worden wären.
Herkunft der Bildquellen

Abb 4.jpg
Im Exil für die konspirative Inlandsarbeit hergestelltes Parteiorgan der SPD
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 237

Abb 5.jpg
Ludwig Schwamb
Stadtarchiv Wiesbaden, NL 75, Nr. 3047

